Wir leben hier wie auf dem Mond – WELT AM SONNTAG

In einem der schönsten Palazzi Venedigs zeigt eine jahrhundertealte Familie, wie man mit Stil den schwierigen Wandel der Zeit überlebt

von Dagmar von Taube

Als sich zu Zeiten Maggie Thatchers der Konservative Michael Heseltine in Lon-don sein erstes schickes Townhouse gönnte, spöttelten Partei-„Freunde“ über den Aufsteiger: „Imagine, the poor guy, he had to buy his own furniture!“ Edle Herkunft erkennt man schließlich daran, dass die Einrichtung über Gene-rationen weitergegeben wird – selbst wenn die Kommode etwas angeschlagen und das 40-teilige Tafelsilber nicht mehr ganz vollständig ist. Diese privile-gierte Lässigkeit großer, aristokratischer Familien findet man auch in Italien. Bianca Arrivabene, 48, bahnt sich ihren Weg durch ein venezianisches Pentouse, 1000 Quadratmeter auf dem Dach des Palazzo Papadopoli mit prächtigen Blicken über Innenstadt und Canal Grande, einer wirklichen Wunderkammer europäischer Kulturgeschichte: Antiquitäten, Gemälde, Skulpturen; unzählige Fotorahmen, aus denen Berühmtheiten wie Maria Callas lachen. In einer Ecke die wunderschönen Gläser, Schalen und Karaffen, die Gibi, der 53-jährige Patron der Fa-milie, selbst nach alten Mustern gestaltet. Sogar in jedem

Silberschälchen noch allerlei Nützliches: gravierte Lupen, Pfauenfedern. Sie lacht: „Wir leben hier praktisch in den Leftovers, den Resten des Reichtums der Familie meines Mannes Giberto. Es ist die Vermählung aus fast 200 Jahren Vergangenheit und vielen Momenten unserer 30-jährigen Ehe samt fünf Kindern. Jedes Stück, das Sie hier sehen, stammt entweder von einer unserer Reisen oder ist eine Er-innerung an eine Begegnung.“ Die Marmorstatuen tragen Strohhüte aus Uruguay: „Die sind noch von unseren Weih-nachtsferien. Wir sind keine Sammler im klassischen Sinne. Wir suchen die Dinge nicht, sondern die Dinge finden uns.“ Der Palazzo Papadopoli, 1560 von Kaufleuten aus Berga-mo erbaut, zählt zu den ältesten und stattlichsten Palästen am Canal Grande; ein bedeutendes Haus mit prachtvollen Fresken. Anfang des 18. Jahrhunderts kaufte ihn eine Ban-kierfamilie aus Korfu, die Papadopolis. Schwerreich, bis sie alles verlor. Count Giberto Arrivabene Valenti Gonzaga, der heutige Hausherr und Enkel des Grafen Giberto Arrivabene und dessen Frau Vera Papadopoli Aldobrandini, nennt sich der Einfachheithalber Gibi. Er kann sich noch gut erinnern, wie er als Kind mit seinen Schwestern über die Terrazzobö-den der Beletage auf Strümpfen Schlittschuh fuhr. Dass vom einstigen Reichtum nicht mehr viel übrig bleibt, findet er schade: „Meine Mutter, die dieses Haus nach dem frühen.

Tod meines Vaters allein führte, musste alles verkaufen.“ Für die Kinder jedoch war es gar nicht so schlimm, so hatten sie endlich Platz, richtig rumzutoben.

So ist es nun mal: Der Adel hat das Privileg, auf jahrhundertealte Familien-geschichte zurückblicken zu können, von daher ist der größte Schatz immer auch das Bewusstsein, dass man alles auch wieder verlieren kann. Weil er eben weiß, wie man Tradition und Stil notfalls auch ohne Geld bewahren kann. Und das lässt sich hier wunder-schön sehen: Mittlerweile ist in den un-teren Stockwerken des Palazzos ein Hotel eingezogen, das „Aman Canal Grande Venice“, aber das hat auch Vorteile, denn wenn Gibi mal zu viel hat vom Herumtoben seiner Kinder, die das so wie er früher heute auf dem Dach in deutlich gefüllteren Räumen tun, geht er einfach im Bademantel runter und lässt sich dort massieren. Seit zehn Jahren entwirft der De-signer erfolgreich sein Glas (Giberto.it), und sie vertritt das Haus Christie’s, was ihr als fünffacher Mutter einen Hei-denspaß macht, denn da kann ihr traditionsgeschultes Auge zum Einsatz kommen. Viel entspannter überhaupt – statt wie früher im „piano nobile“, dem vornehmen Geschoss, große Feste zu feiern, lädt man heute zum Cocktail mit Freunden aufs Dach. Und das natürlich nach dem Hausre-zept: Schnapsglas unter kaltes Wasser halten, ins Eisfach stellen, Martini rein – fertig ist ein kleiner, köstlicher Drink!Oder: Prosecco mit Cassis! Die Bar ist nicht pompös, son-dern lümmelt sich auf dem Fußboden, auch darin zeigt sich der lässige, nomadische Stil. Der Gast bedient sich selbst, so fühlt er sich gleich wie zu Hause.

Man spürt, die Arrivabenes lieben ihr Venedig. Es gehört einfach zu dieser Familientradition, auch wenn es mittler-weile Opfer kostet, sich das noch leisten zu können. Gibi macht einen Vorschlag: „Eigentlich wäre die Rettung für die Stadt, dass man daraus so etwas macht wie Monte Carlo. Wir sind ja für Italien offshore, und der italienische Staat vernachlässigt uns und zapft bloß die Touristengebühren ab und hohe Steuern. Viel ehrlicher wäre es doch, wir würden unseren Patrizierstatus wiederbekommen und könnten autark als Teil der Europäischen Union wirtschaf-ten. Junge Start-ups und alte Palazzi sind doch eine frucht-bare Kombination für Kreative, und die Zukunft Venedigs wäre gesichert.“

Wenn bloß nicht das Hochwasser wäre! „Aber wenn ,Har-ry’s Bar‘ zumachen muss wegen Acqua alta, dann haben wir hier oben unseren Elfenbeinturm. Und da leben wir herr-lich, wie auf dem Mond.“

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